"Bergische Transfergeschichten"

17.08.2021|15:08 Uhr

Prof. Dr. Christine Volkmann über Milliardeninvestitionen in deutsche Start-Ups.

Man muss sich die Investitionssumme in deutsche Start-up-Unternehmen erst einmal auf der Zunge zergehen lassen: Die Rede ist von sage und schreibe 7,6 Milliarden Euro – eine Megasumme für deutsche Gründerinnen und Gründer in diesem Jahr. Wo kommt das Geld her und wer investiert? Prof. Dr. Christine Volkmann, Leiterin des Lehrstuhls Unternehmensgründung und Wirtschaftsentwicklung & UNESCO-Lehrstuhlinhaberin für Entrepreneurship und Interkulturelles Management der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft an der Schumpeter School of Business and Economics, erklärt im Transfergespräch die Chancen, die sich für innovative Gründungsprojekte auftun.

„Die Leitzinsen der EZB liegen bei null und die Geschäftsbanken werden für ihre Einlagen mit Negativzinsen belastet, die sie zum Teil an ihre Kunden weitergeben“, beginnt Volkmann. „Zudem fluten die Zentralbanken die Märkte mit Geld. Investoren können, bei einem gegenwärtig hohen Anlagebedarf, mit festverzinslichen Anlagen eigentlich keine Rendite mehr erwirtschaften. Die Erwirtschaftung einer Rendite ist jedoch notwendig“, erklärt sie, „ansonsten entsteht, bei einer vergleichsweise hohen Inflationsrate, ein Vermögensverlust.“ Das Geld sei aber da und müsse auch investiert werden. „Börsen und Immobilien sind Möglichkeiten. Das sehen wir aktuell – trotz der Corona-Pandemie – an den steigenden Aktienkursen und Immobilienpreisen. Eine andere Möglichkeit für professionelle Investoren sind eben auch Beteiligungen an Start-ups.“ Der Bedarf an alternativen Anlagemöglichkeiten sei vor dem Hintergrund des aktuellen Zinsumfeldes enorm, erklärt die Wissenschaftlerin.

Wie lange die Zentralbanken die expansive Geldpolitik noch fortführen, sei derzeit nicht absehbar. Sie sieht diese Herangehensweise auch als eine Art Experiment an, denn, so sagt sie: „Inwieweit sich diese Spirale langfristig noch weiter vollziehen kann ist unklar, denn irgendwann müsste eigentlich diese hohe Liquidität schrittweise auch wieder dem Markt entzogen werden, und daher wissen wir nicht, wie dieses Experiment ausgehen wird.“ Mit Blick auf die Situation bei den Start-ups sei die derzeitige Stimmung überwiegend positiv, die Investitionssummen hoch, aber man müsse am Ende des Tages auch schauen, wie sich diese Start-ups entwickelten.

Die amerikanische Start-up-Kultur als Vorbild

Viele deutsche Gründungskonzepte, die vor ein paar Jahren noch kein Gehör fanden, werden mittlerweile finanziert. Das liege nach Volkmanns Einschätzung auch daran, dass sich die Gründungskultur sowie die Infrastruktur für Unternehmensgründungen sehr fortschrittlich entwickelt habe. „Es gibt viele Inkubatoren bzw. Innovationslabore, die Start-ups beherbergen und unterstützen, wie auch hier in Wuppertal der Freiraum. Um das Wachstum der Start-ups zu beschleunigen sind Akzeleratoren entstanden, wie zum Beispiel der Circular Valley Akzelerator in Wuppertal. Es gibt heute Coworking Spaces, etwa das Codeks in Wuppertal und Maker Spaces in den meisten deutschen Städten. Zudem werden Gründer*innen bereits in einer sehr frühen Phase durch vielfältige Maßnahmen, sowohl finanziell, zum Beispiel durch Förderprogramme als auch beratend, zum Beispiel durch Coaching oder Mentoring, unterstützt. Dabei sind Start-ups in den letzten Jahren auch wesentliche Treiber für den regionalen Strukturwandel geworden und die hiesige Gründungskultur wandelt sich in Richtung des Vorbilds der amerikanischen Start-up-Kultur.“

Die insgesamt positiven Entwicklungen in Deutschland ermutigen internationale Investoren, vor allem auch aus den USA. Und diese Investoren seien dabei natürlich nicht uneigennützig, wie Volkmann weiß, denn die Bewertungen der Start-ups in den USA sind derzeit sehr hoch. Daher werde im europäischen Ausland nach günstig bewerteten Alternativen gesucht, das heißt nach Start-ups, die ein hohes Wachstumspotenzial erwarten lassen.

Nach Einschätzung der internationalen Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young Global Limited -EYG-) hat sich Berlins Investitionsvolumen im letzten Jahr von 1,2 auf 4,1 Milliarden Euro mehr als verdreifacht. „Dies dürfte mehrere Gründe haben. Zum einen ist wahrscheinlich der Hauptstadteffekt zu berücksichtigen“, sagt Volkmann, „wenn wir in die anderen großen Städte wie London und Paris schauen, dann sehen wir, dass ,Venture Capital‘ in einem hohen Volumen an erster Stelle in die Hauptstädte fließt (Venture Capital, auch kurz VC genannt, ist eine Form der Finanzierung eines Start-ups oder jungen Wachstumsunternehmens mittels Eigenkapital; Anm. d. Red.). Zum anderen dürfte es sich hierbei um wenige, sehr große Investments handeln, die sich aktuell vor allem auf Berlin und München konzentrieren. Dabei ist der VC-Markt in Deutschland, etwa im Vergleich zu den USA, noch sehr klein.“

Berlin sei zudem aus Sicht vieler junger Leute nach wie vor eine coole, sich dynamisch entwickelnde Stadt. Mit Blick auf die Start-ups gebe es dort nach Angaben des Coworking Guides allein etwa 100 Coworking Spaces, die den Gründer*innen nicht nur attraktive Räumlichkeiten, sondern auch Möglichkeiten zur Vernetzung mit Stakeholdern wie Medien- und Vertriebspartnern oder eben Kapitalgebern böten. Zudem seien in Berlin viele Mehrfachgründer aktiv, die durch ihr Know-how sowie ihre mediale Erfahrung überzeugen könnten. „Aber auch andere Regionen haben ihren Charme, der von internationalen Investoren noch stärker in den Fokus genommen werden könnte. So etwa lohnt sich der Blick nach NRW, dem Bundesland mit der größten Anzahl an Universitäten und Hochschulen, die über ein hohes Ausgründungspotenzial verfügen“, meint die Fachfrau. Maßgebliche Vorteile des Bundeslandes gegenüber anderen Standorten in Deutschland sind vor allem auch Kooperationsmöglichkeiten, nicht nur mit Mehrfachgründer*innen, sondern vor allem auch mit namhaften Großunternehmen und innovativen „Hidden Champions“ aus dem starken Mittelstand.

Die Münchner Softwareschmiede Celonis erhielt in diesem Jahr rund eine Milliarde Dollar, der Onlinebroker Trade Republic knapp 900 Millionen Dollar und das Versicherungs-Start-up Wefox immerhin noch 650 Millionen Dollar. Hier stellt sich dem Laien unwillkürlich die Frage, wo das Geld überhaupt herkommt? „Es gibt Anleger, die den VC-Gesellschaften bzw. VC-Fonds Geld geben, im Vertrauen darauf, dass diese in der Lage sind, so zu investieren, dass am Ende die angestrebte Rendite erzielt wird“, erklärt Volkmann. „Venture Kapitalgesellschaften agieren als Intermediäre, die Geld von Investoren einsammeln, um es in Portfolios verschiedener Start-up-Beteiligungen zu investieren. Potenzielle Anleger bei privaten Venture-Kapitalgesellschaften sind Banken, Versicherungen, Pensionsfonds und wohlhabende Privatpersonen, die Geld geben. Auch Bund und Länder investieren teilweise gemeinsam mit privaten Geldgeber*innen, zum Beispiel über Institutionen wie den Hightech-Gründerfonds. Diese Investments sind aber immer mit gewissen Auflagen verbunden“, sagt sie schmunzelnd, „denn die dürfen nicht zocken.“ Vielmehr stehe für den Staat die Unterstützung wichtiger Zukunftstechnologien oder Sektoren wie etwa der biotechnologischen Impfstoff- oder Medikamentenentwicklung in der aktuellen Corona-Pandemie im Vordergrund. Allgemein komme es dabei immer auf die innovativen, skalierbaren Geschäftsmodelle an, die sich eben auch bewähren müssten. Volkmann persönlich vertraut eher auf zukunftsweisende, innovative, digitale Geschäftsmodelle, als etwa auf aktuell boomende Lieferdienste und prophezeit: „Da wird sich die Spreu vom Weizen trennen.“ Aber das sei ein ganz normaler Selektionsprozess im Wettbewerb, der bei Start-ups auf neuen Märkten einfach dazu gehöre.

Chancen für Bergische Start-ups

Und wie sieht die Situation für die Bergischen Start-ups aus? „Wir haben eine sehr gute Unterstützungsinfrastruktur im Bergischen Land. Die Gründer- und Technologiezentren leisten hervorragende Arbeit, wie etwa das Technologiezentrum Wuppertal W-Tec, das Gründer- und Technologiezentrum Solingen und die Gründerschmiede Remscheid. Mit Blick auf die Bergische Universität haben wir im letzten Jahr ein universitätsweites Start-up-Center gegründet, das erfolgreich arbeitet. Hierbei erwarte ich, dass noch zahlreiche spannende Ausgründungen aus unserer Universität heraus erfolgen“, sagt Volkmann bestimmt. „Es sind bereits vor einigen Jahren wachstumsstarke Start-ups aus der Universität hervorgegangen, die heute wohl das Potenzial für VC-Finanzierungen haben. Diese Unternehmen sind unserem Lehrstuhl bereits seit der Gründungsphase eng verbunden. Hierzu zählen beispielsweise IQZ, die ich bereits als Mentorin im Exist-Gründerstipendium begleitet habe, oder ,Wijld‘ und ,Kita-Concept‘. Diese Unternehmen wachsen vielleicht langsamer als VC-finanzierte Unternehmen, aber dafür organisch, das heißt aus eigener Kraft.“ Das ist für die versierte Szenekennerin keine negative Strategie, denn sie gibt zu bedenken, dass VC-Investitionen auch mit Abhängigkeiten von den Kapitalgebern verbunden sind. VC-Finanzierungen könnten eine Möglichkeit sein, wenn ein Start-up schnell wachsen möchte und die Voraussetzungen dafür erfülle. Daher sei es wichtig, dass sich das Gründungsteam mit möglichen Wachstumsstrategien und alternativen Finanzierungsformen frühzeitig auseinandersetze und dabei Vor- und Nachteile sorgfältig abwäge.

Die Geschäftsmodelle sind sicherlich kunterbunt, doch bestimmte Branchen könnten vom Finanzierungsboom besonders profitieren. „Investoren richten ihren Blick nicht zuletzt auf Megatrends, das heißt auf disruptive Veränderungen, die zu zukunftsträchtigen Innovationen und neuen Geschäftsmodellen führen. Beispiele sind Digitalisierungstrends sowie Trends im Kontext von Gesundheit und Nachhaltigkeit“, erläutert Volkmann. „Aktuelle Investitionen von VC-Gesellschaften zeigen, dass im Bereich der Digitalisierung zum Beispiel Fintech, Softwareentwicklung, Cyber-Security, Robotik und Künstliche Intelligenz auf der Agenda stehen.“ Mit Blick auf das Thema Gesundheit und die Alterung unserer Gesellschaft seien etwa pharmazeutische und medizintechnische Branchen relevant. Fokussiert auf Wuppertal gäbe es zudem im Kontext des Nachhaltigkeitstrends noch den Bereich der Circular Economy, den Volkmann als ein wichtiges Thema der Zukunft umschreibt. Jährlich fallen in Deutschland über 350 Millionen Tonnen Abfälle an, eine gigantische Verschwendung an Rohstoffen und natürlichen Ressourcen. Daher wird auch das Thema Kreislaufwirtschaft künftig stärker an Bedeutung gewinnen.

Die Spitze des Investitionsvolumens sieht Volkmann noch nicht erreicht, die Bergischen Start-ups sind gut aufgestellt. Das Schöne an den Gründungsinitiativen sei vor allem, betont sie zum Schluss, „dass bei Erfolg ein Vertrauen entsteht, auf das man aufbauen kann, um zukünftig weitere unternehmerische Projekte im Bergischen gemeinsam umzusetzen“.

Uwe Blass

 

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